Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten im österreichischen Zivilrecht implementieren – Argumente und Diskussionen

Garment factory jiaxing (Foto: Matt 2008, https://www.flickr.com/photos/memn/2716435026/)
Garment factory jiaxing (Foto: Matt 2008, https://www.flickr.com/photos/memn/2716435026/)

Mit der einstimmigen Verabschiedung eines neuen Gesetzes zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Frankreich (1. Lesung) am 30. März 2015 hat die Diskussion um verbindliche Pflichten und Sanktionen für Unternehmen, die direkt oder via Tochter- und Zulieferunternehmen außerhalb Europas agieren und dabei Menschenrechte verletzen, an Fahrt gewonnen. Der Gesetzesvorschlag im Hinblick auf die Sorgfaltspflichten der Muttergesellschaften und der beauftragenden Unternehmen[1] verbindet drei Prinzipien: eine umfassende Sorgfaltspflichtprüfung, die das Unternehmen verpflichtet, alle Bereiche (Menschenrechte, Umwelt, Korruption) auch abseits der engen ökonomischen Unternehmensstruktur zu erfassen, sowie eine Stärkung der Möglichkeiten der Gerichte und effektivere Entschädigung der Opfer (ein Bußgeld bis zu 10 Mio. Euro, sowie Veröffentlichung des Gerichtsurteils). Auch wenn das Gesetz aus Sicht der InitiatorInnen viele einschneidende Kompromisse erdulden musste, war die Verabschiedung in der ersten Lesung ein Meilenstein in der Geschichte der europäischen Menschenrechte[2] und ist eingebettet in mehrere nationale wie internationale Prozesse zu Wirtschaft und Menschenrechte. Hervorzuheben sind hier folgende: Im Juni 2014 wurde im UN-Menschenrechtsrat mehrheitlich eine Resolution verabschiedet, welche die Einrichtung einer Arbeitsgruppe mit dem Mandat zur Erarbeitung eines internationalen und rechtlich verbindlichen Instrumentes zu Transnationalen Unternehmen zum Thema hatte.[3]

In seinen Abschließenden Bemerkungen zu Österreich vom 29. November 2013 äußert sich der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-AwskR) besorgt über die fehlende Aufsicht über im Ausland tätige österreichische Unternehmen. Er fordert Österreich auf, sicherzustellen, dass alle wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vollständig respektiert und die Träger dieser Rechte im Rahmen von Unternehmensaktivitäten angemessen geschützt werden.[4]

Das Netzwerk Soziale Verantwortung hat 2015 die Diskussion um menschenrechtliche Sorgfaltspflichten im österreichischen Schadensersatzrecht mit einem konkretisierenden Rechtsgutachten, sowie mit drei Diskussionsveranstaltungen gemeinsam mit den KooperationspartnerInnen (AK Wien, Südwind, AG Globale Verantwortung, Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar, Gewerkschaft vida, Österreichische Liga für Menschenrechte, World Vision, Fairtrade Österreich, ksoe, ECCJ) geführt. Die Arbeiterkammer Wien und das Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe) haben in einer gemeinsam veröffentlichten Studie[5] vom European Center for Constitutional and Human Rights die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von europäischen Unternehmen bei ihren Auslandsaktivitäten rechtsvergleichend untersucht und sich der Frage gewidmet, inwiefern Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen handhabbare Rechtsschutzmöglichkeiten haben und welche Rahmenbedingungen Unternehmen bei menschenrechtsrelevanter Auslandstätigkeit vorfinden.

 Wesentliches Ergebnis des Rechtsgutachtens war, dass es in Österreich keine Umsetzung der in den United Nations Guiding Principles on Business and Human Rights vorgeschlagenen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten für Unternehmen auch hinsichtlich ihrer Tochter- und Zulieferunternehmen im Ausland gibt. Ferner sind auch bisher keine Rechtsfälle mit explizitem menschenrechtlichen Auslandsbezug aktenkundig geworden.

Die Klarstellung und Konkretisierung unternehmerischer Sorgfaltspflichten auf dem Gebiet der Menschenrechte ist ein Hebel für effektiveren Menschenrechtsschutz mit potentiell großen Auswirkungen, denn:

  • Das Zivilrecht kennt das Institut der Sorgfaltspflichten, auch im Bereich des Deliktsrechts (nicht-vertragliche Schadensersatzansprüche). Eine Erweiterung und Klarstellung, dass Sorgfaltspflichten auch für menschenrechtliche Belange gelten, ist formal einfach einzuführen.
  • Nicht-vertragliche Schadensersatzansprüche kennen bereits gewisse Beweiserleichterungen. Den Beweis in Verfahren gegen multinationale Konzerne mit komplexen Unternehmensstrukturen zu erbringen, ist in der Praxis eine der größten Hürden für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen.
  • Die Sorgfaltspflicht besteht am Sitz des Unternehmens, so dass im Falle eines europäischen Sitzes des Unternehmens die Zuständigkeit österreichischer respektive europäischer Gerichtsbarkeit einfach(er) zu begründen ist.
  • Es gibt bereits Reformbewegungen in Frankreich und der Schweiz zur Einführung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten.

In der gemeinsamen Veranstaltung „Menschenrechte und Unternehmensverantwortung“[6] mit dem CSR-Dialog am 16. Juni 2015 wurde diskutiert, inwiefern Unternehmen durch freiwillige CSR-Initiativen Menschenrechte in der internationalen Liefer- und Wertschöpfungskette umsetzen können. Beispiele von Fairtrade International, Göttin des Glücks und VertreterInnen der Gemeinwohlökonomie gaben anschaulich Einblick in Möglichkeiten von CSR-Initiativen und bisher verwirklichte Ansätze. Mit besonderem Interesse wurde auch die Forderung des europäischen Parlaments zur Entwicklung eines verbindlichen Instruments im Bekleidungssektor als Bestrebungen im regulativen Bereich diskutiert.[7]

Auf der anderen Seite bleibt das Manko von ernsthaftem freiwilligem Engagement von Unternehmen, dass es die „schwarzen Schafe“ nicht davon abhält, ihre Profitinteressen vor die Verletzung fundamentaler Menschenrechte zu stellen und insofern die gesamtgesellschaftliche Durchsetzbarkeit menschenrechtlicher Standards nicht bewirken kann. Weitergehend wurde auch vertreten, dass die mangelnde Regulierung unternehmerischer Aktivitäten ein strukturelles wirtschafts- und demokratiepolitisches Problem sei, das mit der Durchsetzung neoliberaler Politik prägend für das Verhältnis von Wirtschaft und Politik ist. Es wurde auch Kritik an der Debatte Regulierung versus Freiwilligkeit laut, da doch gerade die letzten Jahre zeigten, dass sowohl international als auch national Initiativen des hard und soft law ein vorwärtsweisendes Patchworkgeflecht bildeten[8].

Hinsichtlich einer rechtlich verbindlichen Einführung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten wurde die Sorge nach einem immensen Bürokratieaufwand für Unternehmen laut. Hier wurde ein sektorspezifischer Zugang mit konkreten Benchmarks und Indikatoren diskutiert, wie es z.B. der Roundtable Menschenrechte im Tourismus für diesen Bereich entwickelt hat.[9]

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Wirkungen des eigenen Unternehmensgebahrens auf Umwelt und Menschenrechte ist sicherlich mit einem zusätzlichen Aufwand verbunden – da waren sich alle DiskutantInnen einig. Insbesondere erfordert es zusätzliche Kommunikationskanäle und Berichterstattungsstrukturen, die aufgebaut, gepflegt und sorgfältig geführt werden müssen. Diese Risikoprüfung sollte – wie auch in den UNGPs ausgeführt – auf die Tochter- und Zulieferunternehmen ausgeweitet werden, so die Forderung vieler NGOs wie z.B. Südwind.

Es war offensichtlich, dass bei dieser Frage eine vertiefte Debatte und Sensibilisierung der unterschiedlichen Positionen und Standpunkte nötig ist.

Knitwear Factory in Mymensingh (Foto: NYU Stern BHR, https://www.flickr.com/photos/129414503@N08/16279511912/in/album-72157647960355364/)
Knitwear Factory in Mymensingh (Foto: NYU Stern BHR, https://www.flickr.com/photos/129414503@N08/16279511912/in/album-72157647960355364/)

Ein weiterer Diskussionspunkt dieser Veranstaltung wie auch des parlamentarischen Roundtables Menschen.Rechte.Wirtschaft[10] am 13. Oktober 2015 war die Frage, inwiefern die Regulierung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten für Auslandsaktivitäten von Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil für österreichische Unternehmen bedeutet. Denn auch unabhängig von potentiell gesteigertem Verwaltungsaufwand konkurrieren leider nicht wenige transnational agierende Unternehmen über Menschenrechtsverletzungen miteinander. „So gilt zum Beispiel: Je weniger aufmüpfige GewerkschafterInnen, je weniger ArbeitnehmerInnenrechte, umso profitabler die Produktion. Dasselbe lässt sich über Umweltschutz sagen, denn auch dieser verteuert die Produktion oftmals nur. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte sind hier Hindernis.“[11]

Das Argument wird jedoch auch umgekehrt geführt: verschärfte Regulierung kann auch dazu dienen, importkonkurrierende Wirtschaftszweige vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. Gesteigerte menschenrechtliche Sorgfaltspflichten und damit verbundene unternehmensinterne Prüfungen führen dazu, dass ausländische ImporteurInnen ihre Produkte den inländischen Standards anpassen müssen und damit auch ihre Produktionskosten erhöhen. Darüber hinaus haben inländische Unternehmen den Vorteil, auf die Rechtsgestaltung Einfluss nehmen zu können.

Klar definierte menschenrechtliche Sorgfaltspflichten – so ein weiterer Argumentationsstrang – haben den Vorteil, Rechtssicherheit für international agierende Unternehmen zu bewirken. Schon heute liegen viele Gerichtsfälle mit internationalem Menschenrechtsbezug gegen Unternehmen vor (vgl. z.B. gegen KIK Textil- und Non Food GmbH in Deutschland, Dutch Shell in den Niederlanden e.a.) und Gesetzesreformbewegungen wie in Frankreich und in der Schweiz werden Opfer motivieren, auch mit einer vagen Rechtslage Rechtsschutz in Europa zu begehren. Die allgemeinen Bestimmungen des nichtvertraglichen und vertraglichen Schadensersatzrechts lassen der Judikative z.T. einen weiten Gestaltungsspielraum. So kann es durchaus im Interesse heimischer Unternehmen sein, Rechtsklarheit zu haben über die Sorgfaltspflichten, die ihnen obliegen und die Grenzen derselbigen. So wurde auf dem juristischen ExpertInnenseminar am 15. Juni 2015 von einem Rechtsanwalt vertreten, dass die Forderung nach der Implementierung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten im österreichischen Zivilrecht eigentlich ein Lobbying für heimische Wirtschaftsinteressen wäre. Denn mit einer Gerichtszuständigkeit in Österreich hätten die Unternehmen hier ein Heimspiel: sie kennen das Recht und ihre Praxis, haben gute Kontakte zur Presse und verfügen über ein gutes anwaltschaftliches Netz.

Offensichtlich blieb, dass die Frage eines Wettbewerbsnachteils für heimische Unternehmen bei verschärfter Regulierung das wesentliche Diskussionsthema bei der Implementierung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten ist, die Einordnung aber durchaus kontrovers und noch längst nicht abschließend diskutiert wird.  Der Abgeordnete der Assamblée National und Initiator der französischen Gesetzesinitiative Dominique Potier, stellte die Reform unternehmerischer Sorgfaltspflichten bei dem Roundtable Menschen.Rechte.Wirtschaft am 13. Oktober 2015 auf eine Stufe mit der Einführung der Arbeitsschutzbestimmungen und der Abschaffung des Sklavenhandels. Es sei eine moralische Verpflichtung Europas, die Menschenrechte effektiv umzusetzen und somit eine Etappe neuer Rechte in der Zeit der Globalisierung zu begründen.

Das juristische ExpertInnenseminar am 15. Juni 2015 diskutierte vertieft die Erkenntnisse der neuen Studie. Abgelehnt wurde von den TeilnehmerInnen einstimmig der oftmals vorgebrachte Einwand, eine extraterritoriale Anwendbarkeit sei den Rechtsordnungen fremd. Gerade im Finanz- und Handelsrecht sind scharfe Regulierungen mit extraterritorialer Wirkung usus und insofern die Ausweitung auch auf Umwelt- und Menschenrechtsbelange technisch nicht ausgeschlossen. Dies sei eher eine Frage des politischen Willens. Betont wurde aber auch der unverbindliche Charakter der UNGPs, der nicht auf eine Verpflichtung zur regulativen nationalen Umsetzung schließen läßt. Die Einstimmigkeit im Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen sei hergestellt worden, gerade weil die UNGPs unverbindlich seien und den Nationalstaaten einen breiten Gestaltungsspielraum der Umsetzung lassen.

Hinsichtlich der Ergebnisse des Rechtsgutachtens wurde diskutiert, inwiefern die aktuellen Fassungen des nichtvertraglichen Schadensersatzrechts unternehmerische Verkehrssicherungspflichten auch mit Auslandsbezug umfassen. Die Frage blieb offen. Fakt ist zumindest, dass sie nicht explizit benannt sind und auch keine Gerichtsfälle in Österreich mit Auslandsbezug bekannt sind. Zum Teil wurde argumentiert, dass eine Gesetzesreform nicht notwendig ist, weil auch die allgemeinen Sorgfaltspflichten Klagsmöglichkeiten für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen zuließen. Das Problem läge hier eher an der mangelnden Klagsfreudigkeit in Österreich.

Bei dem Roundtable Menschen.Rechte.Wirtschaft am 13. Oktober 2015 wurde der Vorschlag des Rechtsgutachtens diskutiert, eine Gesetzesinitiative in Österreich via eines Entschliessungsantrags von Abgeordneten zum Nationalrat zu forcieren. Der Weg eines Entschließungsantrags wurde von vielen Seiten kritisiert, da er zwar eine Möglichkeit sei, Diskussionen ins Parlament zu bringen, aber empirisch nicht der Weg zu erfolgreichen Gesetzesänderungen ist. Hier sei die große Koalition gefragt und mit ihr der Entschluss, dem Thema Wirtschaft und Menschenrechte eine prioritäre Bedeutung zuzumessen. Möglicher Anknüpfungspunkt ist die im Regierungsübereinkommen genannter Überarbeitung des Schadensersatzrechts[12].

 

Endnoten

[1] La loi relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d’ordre (n° 2578), online abrufbar unter : http://www.assemblee-nationale.fr/14/dossiers/devoir_vigilance_entreprises_donneuses_ordre.asp

[2] vgl. http://www.amnesty.fr/Nos-campagnes/Entreprises-et-droits-humains/Actualites/France-le-debat-sur-la-proposition-de-loi-sur-le-devoir-de-vigilance-se-prolonge-16563

[3] http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/WGTransCorp/Pages/IGWGOnTNC.aspx

[4]http://www.fian.at/assets/CESCR-WSK-Pakt-4-oesterr-Staatenpruefung-Concluding-Observations-nichtamtl-dt-Uebersetzung.pdf

[5] Bueno/Scheidt, Die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechten bei Auslandsaktivitäten, Oktober 2015: http://www.netzwerksozialeverantwortung.at/media/Pub_Rechtsgutachten_ECCHR.pdf

[6] http://www.csrdialog.at/menschenrechte/aktuelles-termine-menschenrechte/

[7]http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8-TA-2015-0175+0+DOC+XML+V0//DE

[8] Zu nennen wären da die UNGPs, die Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines internationalen Instruments für Wirtschaft und Menschenrechte, die OECD-Guidelines oder Initiviven wie Konfliktrohstoffe, das VerbandsverantwortlichkeitsGesetz in Österreich etc.

[9]http://www.menschenrechte-im-tourismus.net/fileadmin/user_upload/Menschenrechte/RT_MR_im_Tourismus_DE_2te.pdf

[10] http://www.nordsueddialog.org/aktivitaeten/oesterreich/awepa-sektion/

[11] Gruber/Kaufmann: Wettbewerbsvorteil Menschenrechtsverletzung?: http://issuu.com/ug_oegb/docs/2014-09?e=1788734/9093931

[12] vgl. https://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=53264, Seite 87.